Das bevorzugte Ziel für den geologisch interessierten Besucher von Rügen ist die beeindruckende Steilküste auf dem Inselteil Jasmund. Hier sind die als „Rügener Schreibkreide“ bezeichneten Sedimente sowie pleistozäne Ablagerungen aufgeschlossen. Nach einer kurzen Übersicht zu Rügens Geologie werden in dieser Artikelreihe Funde kristalliner Geschiebe von mehreren Stränden der Insel vorgestellt.
1. Zur Geologie von Rügen
2. Geschiebesammeln auf Rügen
2.1. Sassnitz
2.2. Dwasieden
2.3. Kap Arkona
2.4. Lohme
2.5. Sellin
2.6. Mönchgut
3. Links und ausgewählte Literatur
1. Zur Geologie von Rügen
Die Rügener Schreibkreide ist ein krümeliger und wenig verfestigter Kalkstein, der von zahlreichen Feuersteinbändern durchzogen wird. Sie entstand in einem Zeitabschnitt der Oberkreide, im Maastricht, vor etwa 72-66 Millionen Jahren. Zu dieser Zeit bedeckte ein Flachmeer praktisch ganz Mitteleuropa. Nur einige Inseln ragten aus diesem Kreidemeer hervor, die Alpen gab es noch nicht. Ein tropisches Klima, aber eine recht kühle Wassertemperatur begünstigte das Wachstum kleinster, planktonisch lebender Meerestiere, aus denen die Schreibkreide zusammengesetzt ist. Im Wesentlichen sind dies die als Coccolithen bezeichneten Kalkplättchen von Algen der Ordnung Coccolithophorida, neben weiteren Kleinfossilien. Die Sedimentation erfolgte erstaunlich langsam, etwa 35 mm in 1.000 Jahren (REICH 1998). In der Schreibkreide finden sich auch zahlreiche Makrofossilien: Seeigel, Schwämme, Belemniten, Korallen, Muscheln, Bryozoen, Schnecken, Seesterne, Ammoniten und weitere (vgl. SCHULZ 2003: 347-351, REICH et al 2018).
Innerhalb der hellen Schreibkreide treten Lagen von dunkelgrauen Feuersteinen auf. Sie entstanden nach der Ablagerung der Kreideschichten während der Diagenese und bilden Konkretionen – massige Gesteine von rundlicher, knolliger, teils auch bizarrer Gestalt. Die Feuersteine sind der „Prototyp“ des nordischen Geschiebes, weil sie in glazialen Ablagerungen praktisch allgegenwärtig auftreten. Ihre südlichste Verbreitungsgrenze, die sog. „Feuersteinlinie“ kennzeichnet die Maximalausdehnung der nordischen Inlandvereisungen.
Vor den nordischen Inlandvereisungen bildeten die Schichten der Oberkreide ein mehr oder weniger ebenes und bis 400 m mächtiges Sedimentpaket. Diese Schichten sind auch heute im Untergrund noch großflächig verbreitet und durch jüngere Schichten verdeckt. Durch tektonische Vorgänge, wahrscheinlich Störungen des Untergrundes während der alpidischen Gebirgsbildung, kam es im Tertiär zu Hebungen. Durch leichte Verkippung bildeten sich Kreide-Horste. Einst verband ein etwa 100 km breites, in Ost-West-Richtung sich erstreckendes Kreidemassiv die Vorkommen von Rügen und Møn.
Die erosive Kraft des Inlandeises führte zu einer Abtragung der oberen 100 m dieses Massivs und zur Bildung kleiner und größerer Schollen, die in der Folge teils dachziegelartig verkippt oder sogar verfaltet wurden. Dabei konnten auch größere zusammenhängende Pakete der lockeren Kreidesedimente bewegt werden, weil der Untergrund gefroren war. Durch diese glazitektonischen Vorgänge gelangten die Kreidesedimente in ihre heutige Position und bilden ein komplexes Nebeneinander mit Geschiebemergeln und anderen glazialen Ablagerungen. Erst der Geschiebemergel des letzten weichselzeitlichen Eisvorstoßes liegt über den verschuppten kreidezeitlichen und glazialen Sedimenten, was auf eine zeitliche Einordnung der Glazitektonik in die Zeit bis zum Pommerschen Stadium der Weichselvereisung vor etwa 22.000 – 20.000 Jahren deutet.
Die Verkippung und Faltung der aufragenden Schollen lässt sich an den Feuersteinbändern stellenweise gut nachvollziehen (Abb. 5). Größere Kreideschollen sind vor allem im Nordteil der Insel auf Jasmund sowie an der NE-Spitze von Wittow aufgeschlossen. Kleinere Kreideschollen und -schlieren finden sich z. B. auch an der Steilküste von Dwasieden (Abb. 6).
Im letzten Stadium der Eisvorstöße, im späten Weichselglazial, wirkten die Inselkerne von Jasmund und Arkona als Hindernis. Der Gletscher teilte sich hier in zwei Eisströme. Ein südlich verlaufender sog. Oder-Eisstrom modellierte die hügelige Landschaft Ostrügens. Durch Stillstand und Abschmelzen des Eises entstanden die Endmoränen der sog. Mittelrügenschen Stillstandslage. Ihre heutige Gestalt nahm die Insel lange nach dem Rückzug des Eises an. Rügen war nach dem Abschmelzen des Eises zunächst Festland. Vor etwa 7.800 Jahren, zu Zeiten der Litorina-Transgression, wurde das Gebiet überflutet, nur die Inselkerne Jasmund, Wittow und Mönchgut lagen über dem Meeresspiegel. Durch Brandung entstanden an ihren Außenseiten Steilufer. Abgetragener Sand wurde durch Küstenströmungen in Gestalt von Nehrungen wieder ablagert und verbindet seitdem die Inselkerne miteinander. Im Naturschutzgebiet „Schmale Heide“ (Feuersteinfelder von Mukran) finden sich 14 Strandwälle aus Feuersteinen, die vor etwa 4.000 Jahren während mehrerer Sturmfluten aufgeschüttet wurden (Abb. 7).
Rügens Steilküsten sind von einem beachtlichen Fortschreiten der Erosion betroffen, die Küstenlinie wird jährlich um durchschnittlich 30 cm zurückverlegt. Vor allem nach der Schneeschmelze und starken Regenfällen ereignen sich größere Abbrüche, Geschiebemergel und Schmelzwassersande zwischen die Kreidefelsen wirken dabei als Sollbruchstellen.
Auf Rügen gibt es eine Vielzahl interessanter geologischer Lokalitäten, die im Text genannten sind auf der Karte Abb. 10 markiert.
Auf Jasmund wurde die Rügener Schreibkreide zur Gewinnung von Schlämmkreide früher in zahlreichen Steinbrüchen abgebaut. Ein aktiver Tagebau liegt bei Promoisel, ein aufgelassener Bruch bei Dargast.
Das Kreidemuseum in Gummanz (www.kreidemuseum.de) informiert mit einer bergbautechnischen Sammlung und einem Freilichtbereich über die Historie des Kreideabbaus und die Verwendung der Rügener Schreibkreide, ein geologisch-paläontologischer Sammlungsteil über die Entstehung der Insel Rügen. Auch eine hervorragende Ausstellung mit Kreidefossilien kann besichtigt werden.
Auf Rügen gibt es auch mehrere große Geschiebe, z. B. der Schwanenstein bei Lohme. Auf den Siebenschneiderstein (Karlshamn-Granit) wird im Abschnitt Kap Arkona eingegangen. Der größte Findling Norddeutschlands ist der Buskam östlich von Göhren.
2. Geschiebesammeln auf Rügen
Die Geröllstrände auf Rügen bieten dem Geschiebesammler gute Fundmöglichkeiten. Auf ein übermäßiges „Abräumen“ der Strände sollte man allerdings verzichten und Steine mit Bedacht entnehmen, damit auch zukünftige Besucher noch die ganze Bandbreite an nordischen Geschieben vorfinden können. Vielleicht vermag eine gute fotografische Dokumentation den „Sammeltrieb“ ebenfalls zu befriedigen. Die meisten der hier gezeigten Gesteine liegen noch vor Ort. Das Hauptaugenmerk gilt den kristallinen Geschieben, die in drei Abschnitten vorgestellt werden:
- Sassnitz: Strandabschnitt an der Steilküste nördlich vom Hafen
- Dwasieden: Steilküste südlich von Sassnitz
- Kap Arkona und Mönchgut.
Die kristalline Geschiebegemeinschaft auf Rügen ist stark von den Gesteinen des Transskandinavischen Magmatitgürtels (TIB) geprägt, darunter die variationsreichen und oft bunten Småland-Granitoide und Småland-Porphyre. Allgemein häufig ist auch der Braune Ostsee-Quarzporphyr, der Rote Ostsee-Quarzporphyr tritt nur ganz vereinzelt auf. Rapakiwi-Gesteine von Åland sind in mäßiger Häufigkeit anzutreffen. Aus Dalarna finden sich nur wenige Kristallingesteine. Granite von Bornholm sind seltener, als es die Nähe zum Anstehenden und die Zugrichtung der Gletscher während der letzten Vereisung erwarten lässt.
Oslogesteine (z. B. Rhombenporphyre) oder SW-schwedisches Material fehlen vollständig, Rügen liegt jenseits ihrer Verbreitungsgrenzen. In diesem Zusammenhang sind Funde von dunklen und quarzfreien Porphyren mit rhombenförmigen Feldspat-Einsprenglingen interessant, die dem Rhombenporphyr ähneln, aber kaum aus dem Oslograben stammen dürften (Abb. 2-4). Ein weiterer Fund eines ganz ähnlichen Porphyrs wird im Abschnitt „Dwasieden“ (Abb. 13) gezeigt und diskutiert.
2.1. Sassnitz
Nördlich vom Hafen in Sassnitz wurden große Steine als Uferschutz abgelagert, neben zahlreichen Großgeschieben auch Lausitzer Granodiorit aus der Westlausitz als Fremdmaterial. Der Plutonit entstand im Zuge der Cadomischen Gebirgsbildung vor etwa 650-550 Millionen Jahren.
Etwas weiter nördlich beginnt die Steilküste von Jasmund. Aufragende Schollen von Schreibkreide wechseln sich mit Geschiebemergel und Schmelzwassersanden ab (Abb. 1). Bänder aus Feuerstein sind geradezu regelhaft in die Kreidesedimente eingeschaltet (Abb. 2). An einigen Stellen kann man auch eine Faltung dieser Bänder durch Tektonik oder Eistektonik beobachten (Abb. 5). Beim Aufenthalt am Fuße der Steilküste sollte stets die Gefahr von Steinschlag berücksichtigt werden. Besonders nach starkem Regen, während der Schneeschmelze und bei Sturm ist äußerste Vorsicht geboten.
Der vorgelagerte Geröllstrand besteht größtenteils aus schwarzen Feuersteinen. Jedes einzelne der wenigen eingestreuten Kristallingeschiebe lässt sich dadurch genauer in Augenschein nehmen. An Strandabschnitten mit aufgearbeiteten glazialen Ablagerungen treten diese auch zahlreicher in Erscheinung.
Solche vollroten Granophyre (granitische Gesteine, die fast vollständig aus graphischen Verwachsungen von Feldspat und Quarz bestehen) sind z. B. aus dem Nordingrå-Pluton in Nordschweden, aber auch aus anderen Rapakiwi-Vorkommen bekannt. Mangels charakteristischer Merkmale lässt sich der Gesteinstyp nicht auf ein bestimmtes Vorkommen zurückführen.
Häufigster Geschiebetyp in Sassnitz sind die bunten Granitoide des Transskandinavischen Magmatitgürtels (TIB). Dazu gehören die mittelkörnigen Alkalifeldspatgranite vom Växjö-Typ mit blauem oder farblosem Quarz und braunem oder rotem Alkalifeldspat; weiterhin porphyrische Granite mit der typischen Dreifarbigkeit (blauer Quarz, brauner oder roter Alkalifeldspat sowie weißer, grüner, gelber oder orangefarbener Plagioklas). Die Anzahl der Leitgeschiebe unter den TIB-Graniten ist klein, da an verschiedenen Lokalitäten im Anstehenden Gesteine mit dem gleichen Gefüge auftreten.
Aus Nordost-Småland und dem südlichen Östergötland dürften die folgenden Granite mit porphyrischem Gefüge stammen. Gemeinsam ist ihnen ein Anteil von gelbem bis orangerotem Plagioklas und viel Titanit.
Die nächsten Bilder (Abb. 44-51) sind eine Zusammenstellung einiger der überaus zahlreichen gleich- und mittelkörnigen Småland-Granite vom Växjö-Typ.
Typisch für die Bornholm-Granite ist das „verwaschene“ Gefüge mit unklaren Korngrenzen aus Kalifeldspat, Quarz und Plagioklas, die rötliche, über Korngrenzen hinweg laufende Hämatit-Imprägnierung sowie runde Ansammlungen von dunklen Mineralen (Biotit). Innerhalb des Biotits findet sich reichlich Titanit.
Auch Porphyrgeschiebe aus dem TIB finden sich in großer Zahl, darunter Porphyre vom Påskallavik- und Emarp-Typ. Nicht selten sind auch Gangporphyre mit einem deformierten Gefüge, erkennbar an schlierigen Ansammlungen und einer Vorzugsrichtung der dunklen Glimmerblättchen (Abb. 60).
Nur vereinzelt lassen sich am Strand von Sassnitz Kristallingesteine aus Dalarna entdecken.
Links und ausgewählte Literatur
GEHRMANN A 2020 The multistage structural development of the Upper Weichselian Jasmund Glacitectonic Complex (Rügen, NE Germany) – E & G Quaternary Science Journal, 69: 59-60, https://doi.org/10.5194/egqsj-69-59-2020.
HAGENOW F VON 1839 Monographie der Rügen’schen Kreide-Versteinerungen, I. Abtheilung: Phytolithen und Polyparien – Neues Jahrbuch für Mineralogie, Geognosie, Geologie und Petrefaktenkunde 1839: 253-296, Taf. 4-5, Stuttgart.
HAGENOW F VON 1840 Monographie der Rügen’schen Kreide-Versteinerungen, II. Abtheilung: Radiarien und Annulaten. Nebst Nachträgen zur ersten Abtheilung – Neues Jahrbuch für Mineralogie, Geognosie, Geologie und Petrefaktenkunde 1840: 631-672, Taf. 9, Stuttgart.
HAGENOW F VON 1842 Monographie der Rügen’schen Kreide-Versteinerungen, III. Abtheilung: Mollusken – Neues Jahrbuch für Mineralogie, Geognosie, Geologie und Petrefaktenkunde 1842: 528-575, Taf. 9, Stuttgart.
KENZLER M, OBST K, HÜNEKE H, SCHÜTZE K 2010 Glazitektonische Deformation der kretazischen und pleistozänen Sedimente an der Steilküste von Jasmund nördlich des Königsstuhls (Rügen). – Brandenburgische Geowissenschaftliche Beiträge, 17: 107-122.
LUDWIG A O 2011 Zwei markante Stauchmoränen: Peski/Belorussland und Jasmund, Ostseeinsel Rügen/Nordostdeutschland – Gemeinsame Merkmale und Unterschiede. – E & G, Quaternary Science Journal, 60(4): 464-487.
MÜLLER U & OBST K 2006 Lithostratigraphie und Lagerungsverhältnisse der pleistozänen Schichten im Gebiet von Lohme (Jasmund/Rügen). – Zeitschrift für geologische Wissenschaften, 34: 39-54.
REICH M 1998 (Hrsg) Die Kreide Mecklenburg-Vorpommerns. – Exkursionsführer zur Geländetagung der Subkommission für Kreidestratigraphie – 41 S., 31 Abb., 1 Tab., Greifswald.
REICH M, HERRIG E, FRENZEL P & KUTSCHER M 2018 Die Rügener Schreibkreide – Lebewelt und Ablagerungsverhältnisse eines pelagischen oberkretazischen Sedimentationsraumes / The Rügen White Chalk – Habitat and deposits of a pelagic Late Cretaceous sedimentation area. Zitteliana. 92.
SCHULZ W 2003 Geologischer Führer für den norddeutschen Geschiebesammler – 508 S., 446+42 meist farb. kapitelweise num. Abb., 1 Kte. als Beil., Schwerin (cw Verlagsgruppe).
WAGENBRETH O & STEINER W 1982 Geologische Streifzüge – Landschaft und Erdgeschichte zwischen Kap Arkona und Fichtelberg – 204 S., 65 Farbfotos, 16 Schwarzweißfotos, 117 Abb., VEB Deutscher Verlag für Grundstoffindustrie, Leipzig.